Während einer Krise seinen Routinen aufrecht zu erhalten, ist schwer. Corona hat mich mit Schmackes aus der Bahn getreten und mich in eine Schockstarre versetzt. Das Lauftraining blieb dabei, wie vieles andere auch, auf der Strecke.
Eigentlich war ich darauf eingestellt, im Juni einen Wettkampf zu laufen. Halbmarathon. Eine große Herausforderung, vor allem weil ich gewisse Ambitionen habe und mir “einfach nur ankommen” nicht genügt, obwohl das ja auch schon sehr viel ist.
Mein Training war auf diesen Tag X ausgerichtet, die Einheiten so aufeinander abgestimmt, dass ich eine gute Zeit laufen und den Lauf (hoffentlich!) trotzdem genießen kann. Vielleicht würde es ja sogar für den Altersklassensieg und Ehrung auf der Bühne reichen?
Nun bekomme ich aber gerade Nachhilfe in der Lektion “extrinsische versus intrinsische Motivation”.
Die extrinsische Motivation nährt sich von einem äußeren Reiz, der mich antreibt. Meine Handlungen erfolgen mit einem konkreten Ziel: ich überwinde mich also auch bei akuter Unlust zum Laufen, weil ich im Juni eine Blechscheibe um den Hals gehängt bekommen möchte. Ich möchte eine Urkunde, ich möchte die Anerkennung durch andere, ich möchte mich Halbmarathoni nennen dürfen.
Wenn also ein Training hart ist und ich ans Aufgeben denke, weil ich die Anstrengung scheue oder mein innerer Schweinehund lieber auf der Couch chillt, dann stelle ich mir vor, wie ich jubelnd über die Ziellinie laufe und wie es sich anfühlen wird, die verdienten Lorbeeren für meine monatelange Disziplin einzufahren. Und ich stelle mir vor, wie blöd es sich anfühlen wird, wenn das nicht passiert, weil ich einfach bloß zu faul war.
Das funktioniert meistens ziemlich gut, aber dieser Anreiz ist jetzt blöderweise weggefallen. Da stand ich also nun am Trainingstag vor dem Wohnzimmerfenster und sah hinaus: ich war geschockt über die Situation und überfordert von der Vielzahl an Informationen, es war kalt, regnete und stürmte. Die Grundlage meiner Motivation war weg. Wozu in dieses Mistwetter quälen?
Ich ließ das Training sausen. Auch am nächten Tag. Und am übernächsten. Und den ganzen Rest der Woche. Und die ganze darauffolgende Woche auch. Warum auch nicht? Es spielt doch jetzt eh keine Rolle mehr?
Gestern habe ich dann aber mit dem neuen Trainingsplan begonnen. Mit einer Woche Verspätung und ohne den vorherigen abgeschlossen zu haben. Egal. Was nämlich viel wichtiger ist: ich habe meine Motivation wiedergefunden. Nicht die extrinsische, die ist weg. Sie wird irgendwann mal wiederkommen, so viel ist sicher, aber nichts Genaues weiß man nicht.
Glücklicherweise gibt es neben der extrinsischen Motivation auch noch die intrinsische. Diejenige, die aus mir selbst heraus kommt. Denn ich laufe doch um des Laufens willen. Es macht mir Freude zu sehen, wie ich fitter werde, wie es mir mit der Zeit immer leichter fällt, ich schneller werde und längere Strecken bewältige. Ich liebe den Automatismus der Bewegungen, die frische Luft und die Natur, die Wildtiere, die Erschöpfung hinterher und das gute Gefühl, wenn ich ein Training abgeschlossen und eine schwierige Einheit bewältigt habe.
Das ist viel, viel wichtiger und erfüllender als die Belohnung durch eine Medaille. Oder die Angst davor, keine zu bekommen.
Wir springen alle ultraleicht auf Belohnungssysteme an. Selbst bei dem kleinsten Charity-Lauf bekommt deshalb jeder Teilnehmer eine Medaille. Jedes noch so doofe Handygame verteilt Punkte und gratuliert dir für die großartige Leistung (virtuelle Bälle abgeschossen zu haben…). Vielleicht hast du dir schon mal nach anstrengender Arbeit ein großes Stück Torte gegönnt in dem Gefühl, dass du dir das ja wohl redlich verdient hast. Schüler lernen nicht für die Schule oder das Leben, sondern für Noten (#isso), Studenten für den Abschluss, Angestellte arbeiten für Geld.
Wir ticken so. Daran ist nichts Schlimmes. Allerdings kann das zu einem Problem werden, wenn die Belohnung – die extrinsische Motivation – wegfällt. Ganz besonders in der Freizeit. Das habe ich gerade sehr deutlich gespürt: auf einmal hat ein Hobby, das ich liebe und das mir unheimlich viel gibt, keinen Spaß mehr gemacht. Und das nur, weil mir in drei Monaten niemand gratulieren wird.
Verrückt. Und bescheuert.
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