Das neue Virus ist eigentlich das Letzte, worüber ich schreiben wollte, denn ich kann es nicht mehr hören. Und ich will es auch gar nicht mehr. Egal, wohin ich mich drehe und wende, das Thema begegnet mir überall, jeder sagt was anderes und irgendwo ist damit auch irgendwie von irgendwem alles gesagt. Muss ich mich da jetzt unbedingt auch noch mit einmischen?

Ich tue es einfach: Ich habe Angst.
Damit unterscheide ich mich gefühlsmäßig wohl im Augenblick weniger denn je vom Rest der Welt. Meist kann ich recht gut unterscheiden, wo meine Befürchtungen unangemessen sind und wo nicht, aber heute fehlt mir dieser innere Kompass.

Ich komme nicht gut mit Situationen klar, die ich nicht kontrollieren kann und gerade springt mir meine Machtlosigkeit mit einer Gewalt ins Gesicht, die ich nur selten für möglich halte. Es ist schwer, nicht in Panik zu geraten. Stündlich gibt es neue Einschränkungen und erschreckende Zahlen und Bilder.
Soll ich nun hamstern oder nicht? Alle sagen, nein. Meine Angst sagt, ja. Bis jetzt habe ich es nicht getan, werde ich es bereuen? Wie lange sind die Regale wenigstens halbwegs gefüllt, wie lange die Supermärkte noch geöffnet und wie lange die Banken, sollte ich lieber schnell noch mein ganzes Geld abheben? Die Politiker beschwichtigen und ich soll ihnen vertrauen – auch das gehört nicht zu meinen Stärken.

Ich habe keine Angst vor Corona, ich habe Angst vor der Angst vor Corona. Nicht sehr erwachsen komme ich mir dabei vor. Ich bin nicht eingesperrt, aber es fühlt sich so an. Das öffentliche Leben steht still, nach und nach wird alles geschlossen. Sozialkontakte sollen vermieden werden. Ausgerechnet.

Eine gängige Strategie bei der Bewältigung von Angststörungen ist es, ein Worst-Case-Szenario zu entwerfen und bis zum Ende durchzuspielen. Meistens lautet das Ergebnis, dass alles doch halb so wild ist und man für jedes Problem eine Lösung finden wird, auch wenn die einem dann nicht besonders gut gefällt. Ich aber kann viel Zeit damit verbringen, winzigste Teilschritte zu erfinden auf dem Weg durch ein kompliziertes Labyrinth an Horrorszenarien, aus dem ich keinesfalls wieder herausfinde. Es würde jeden Rahmen sprengen, alle meine Sorgen einzeln aufzuzählen; erst einmal angefangen, finde ich kein Ende mehr. Das hilft niemandem, am wenigsten mir selbst.

Ungewissheit verkrafte ich sehr schlecht. Die Situation ist für alle neu und niemand weiß, was zu tun ist. Es gibt keine Erfahrungen, auf die zurückgegriffen werden könnte, keinen Ratgeber, keine Gebrauchsanweisung, keine Anleitung, kein DIY, kein Tutorial, kein How-To. Das macht mich fertig. Ich möchte was machen, aber das einzige, was ich machen kann, ist – nichts zu machen. Zu Hause zu bleiben und Hände zu waschen. Das fühlt sich nicht gut an. Das fühlt sich nach genau dem Nichtstun an, das es auch ist. Nichtstun ist aber schlecht, denn nur wenn ich ins Handeln komme, kann ich die Angstspirale stoppen.

Es ist verrückt: die irrationalen Ängste meiner Angststörung resultieren aus einem fehlenden Sicherheitsgefühl, und trotzdem konnte ich mich immer sicher fühlen. Ich war mir sicher, dass ich jederzeit alles Mögliche kaufen kann, dass jederzeit Wasser aus dem Hahn kommt und ich jederzeit fahren kann, wohin ich will.

Meine Eltern wissen wie es ist, kein Klopapier zu haben, kein fließend Wasser, kein Überangebot an Waren, keine nahezu unbeschränkte Reisefreiheit. Für mich ist das neu und es trifft mich unvorbereitet. Auch wenn ich mir immer meiner umfangreichen Privilegien bewusst war, die mir einzig durch den glücklichen Zufall beschert wurden, in den Achtzigern in Westdeutschland geboren zu werden, habe ich all das doch immer für selbstverständlich gehalten. Erst durch Corona realisiere ich nun den Irrtum, dem ich jahrzehntelang unterlag. Wenn ich mir gleich mein Abendessen zubereite und ich mich dafür aus meinem gut gefüllten Vorratsschrank bediene, werde ich das mit größerer Demut tun als jemals zuvor. Es kann bestürzend schnell vorbei sein.

Aber selbst wenn es sich gerade nicht danach anfühlt, bin ich immer noch sicher. Keine Fliegerbombe wird auf mein Haus fallen. Die ganzen furchteinflößenden Maßnahmen sollen nicht in erster Linie mein eigenes Leben schützen. Es geht mir gut. Ich bin jung (naja), gesund und nicht allein. Ich habe alles, was man sich wünschen kann.

Und ich habe Angst.